Ohne Geschichten, ohne Ich bleibt nur der Klang zurück.
Doch zuvor ringen sie miteinander: Worte und Musik. Ein Hörspiel von Beckett. Die Worte werden gefoltert, Worte allerdings, die zu definieren, zu interpretieren versuchen. Stöhnend verändern sie allmählich ihre Haltung. Erst versuchen sie vergeblich mitzusingen, dann werden sie poetisch. Bis zur Selbstaufgabe. Die Worte geben ihre Stimme ab. Musik, der Quälgeist?, die Königin!, hat dem Bauchredner der Metaphysik das Maul gestopft.
»Der Schrei einer Krähe; sich wiederholend, bis die krächzenden Laute wie nachgemacht wirken.«
Bei Beckett gleicht das Denken noch dem archaischen Sprechen, dem lauten Aussprechen des Gedachten. Die Bilder, die daraus entstehen: wie in Stein geschnitten, endgültig. Unwichtig, ob jemand sie wahrnimmt. Mythen, verloren schon, sobald sie nur sichtbar geworden sind. Doch die musikalischen Elemente der Sprache, die in der Schrift verschwinden, sollen zurückgeholt werden. Der hörbar Mit-sich-selbst-Sprechende wehrt sich gegen seine Verlassenheit. Er träumt von einer Musik, die nur in seinem Kopf existiert. Der Rhythmus seiner Sprache deutet sie an, vage. Wieder ein langer Weg.
Watt verströmt sich in endlos wirkenden Aufzählungen. Wer sie laut liest, dem entsteht sogleich Musik. Ordnungsliebe, Logik und Wahnsinn verbindet sie aufs harmonischste. Ver-rückte Sprache. Die beruhigende und qualvolle Musik des Einerlei, ein betäubender Singsang, Beschwörung und Litanei. Um beinahe oder abermals zu enden. Sprache als Klang, jedoch niemals auskomponiert, ausgereizt. Die fugenartigen Wiederholungen bringen bloß den Eintopf des Lebens zum Klingen. Entspannung oder Marter? Jedenfalls lassen sie die Suche nach der Bedeutung sowohl des Einzelnen wie des Ganzen hinfällig, ja gefährlich erscheinen: Weh dem, der Symbole sieht!
Becketts Tramps lernen das aushalten.
Die Wirkung von Musik, Stimmen und Geräuschen, oszilliert zwischen Trost und Qual.
Manchmal entbindet sie zum Beispiel vom Zwang zur Wiederholung, der Held lehnt sich zurück.
Und wie er so dalag, drang sehr deutlich von weit her, von außen, ja, wirklich es schien von außen, die mittelmäßigen Stimmen eines gemischten Chors zu ihm.
Doch wenn die Stimmen von innen kommen, ist Vorsicht geboten. Meist wollen sie ihn nämlich versuchen, dazu verführen, der anstrengenden und nutzlosen Erinnerungsarbeit zuzustimmen. Manchmal helfen sie jedoch auch, zum Beispiel bei der Flucht vor eben diesen Erinnerungen.
Man darf nicht vergessen, ich vergesse es manchmal, daß alles eine Frage von Stimmen ist.
Stimmen, ein Synonym für Hartnäckigkeit? Die Suche nach Verlorengegangenem, die Anstrengung der Erinnerung, der Hunger nach Erkenntnis - wer vermag sich schon vollständig davon zu befreien. Zu fürchten allerdings ist die Unersättlichkeit dieser Bemühungen: als endloses Geplapper über das Leben, bis es erlöscht, nein, bis über den Tod hinaus. Da hilft nur eins: Alle Ansprüche aufgeben, sich hinlegen, das beruhigt die Stimmen, all die toten Stimmen, die immer durcheinander sprechen. Wenn unsicher ist, wie es weitergehen wird: willenlos bleiben, ausharren, warten.
Er lag also auf der Bank, gedankenlos und empfindungslos bis auf ein gelindes Gefühl der Kühle in einem Fuß. Die Stimmen, die in seinem Schädel ihren Kanon wisperten, waren wie ein Getrippel von Mäusen, ein Wirbel grauer Pfötchen im Staub. Dies war sehr wahrscheinlich auch eine Empfindung, genaugenommen.
Doch nicht immer gelingt es, sich zu entziehen. Dann werden Becketts Lieblinge zuweilen von den Geräuschen ihrer Umgebung in Unruhe versetzt, sogar gefoltert. Irgendwie hat einer von ihnen, genau weiß er es nicht, ein Kind gezeugt. Jetzt ist es da. Unüberhörbar.
Ich begann mit den Schreien zu spielen, beinahe so, wie ich mit dem Lied gespielt hatte, indem ich weiterging, stehenblieb, weiterging, stehenblieb, wenn man das spielen nennen kann. Solange ich voranschritt, hörte ich sie nicht, dank dem Geräusch meiner Schritte. Aber sobald ich stehengeblieben war, hörte ich sie wieder, jedesmal leiser zwar, aber was ändert das schon, ob ein Schrei leise ist oder laut? Wichtig ist, daß er aufhört. Jahrelang glaubte ich, daß sie aufhören würden. Nun glaube ich es nicht mehr. Ich hätte anderer Lieben bedurft, vielleicht.
Der Trick, mit den Klagelauten quasi zu jonglieren, um die Realität dieser Anfeindung und des Vorwurfs ein wenig erträglicher zu gestalten, mißlingt. Die Schreie haben ihn gezeichnet. Manchmal verdichten sich Katastrophen in kurzen heftigen Geräuschen oder eben Schreien. Paroxysmen, die wie steile Felsen herausragen aus der weiten Ebene des Einerlei.
»Leise säuselnder Wind; vielleicht auch ein Mensch, der hinter vorgehaltener Hand den Mund verzerrt und vorsichtig zu zischen beginnt.«
Becketts Vagabunden sind Hörende. Die Gleichzeitigkeit dessen, was zu sehen ist, verwirrt und schmerzt sie. Sie bevorzugen das Dunkel, in dem die Laute weit zu hören sind und tiefer reichen als bis zur Ebene des sprachlichen Sinns, dieser notdürftigen Übereinkunft...
In der Welt des Hörraums sind die Beckettschen Paralytiker wohl aufgehoben. Am Ende sprechen sie zu sich selbst, in verschiedenen Stimmen. Eine von ihnen wiederholt einen Satz, die andere beschreibt, wie verschieden dieser Satz klingen kann: Mal kommt er aus dieser, mal aus jener Richtung, mal von vorn, mal von hinten, usw. Wenn die Stimmen der Vergangenheit nicht dazwischenreden, läßt die Vorstellung zuweilen Räume entstehen, so klar und milde zugleich wie kaum eine Landschaft. Das Subjekt löst sich auf in akustischen Bildern. Dem Schweigen etwas ablauschen. Die inneren Stimmen in Musik überführen. Eine Musik der Pausen, der Stille.
Dies war eine Musik, die er besonders liebte, die wie von einem Groom kurz geöffnete und wieder geschlossene Stille hinter sich entfernenden Schritten oder anderen Störungen.
Bis dann schließlich die Klänge und die Worte den Körper verlassen, autonom werden. Als Einflüsterungen kehren sie zurück.
Ohne etwas zu hören, werde ich doch von Mitteilungen betroffen. So was Stimmen zu nennen!
Schwache Geräusche der Luftbrandung im eigenen Kopf. Und: Ist es wirklich der eigene? Der Namenlose schwört auf die unschätzbare Abwesenheit. Öffnen lassen sich jedenfalls - eine wichtige Figur wird Öffner genannt - nur noch Fragmente. Und nicht mit Worten allein. Musik tritt hinzu, bereichert wie ein Aufleuchten kurz und willkürlich das Verschwindende. Ansonsten versichern sich die Bewohner des Hörraums durch Töne der Mechanik ihrer Körper. Tritte und Schritte. Auf und ab. Musik als Bewegung. Bei Beckett das katalytische Moment. Ist er Komponist gewesen?
»Von ferne wehen kleine Fetzen aus Schuberts Der Tod und das Mädchen heran.«
Gibt es noch etwas zu spielen, wenn die Geschichten sich immer schneller abnutzen, immer häufiger unterbrochen werden? Oder bleibt da nur die Grübelei, das saturnische Element?